Turin

Tagebuch Winterspiele 2006

1. Wettkampftag

Nun gehen sie endlich los, die 20. Olympischen Winterspiele in Turin. Und von den 162 Athleten sind 73 Bundeswehrsoldaten am Start und gleich am ersten Tag müssen die Biathleten Michael Greis und Ricco Groß ran. Kombinierer Oberfeldwebel Ronny Ackermann muss seine Form finden und Eisschnellläufer Oberfeldwebel Jens Boden will sein Minimalziel erreichen. Bleiben die Rodler auf Erfolgsspur und was machen die Eisläufer im Paartanz im Kurzprogramm?

Nordische Kombination

Besiegt von Konkurenz im eigenen Lager

Der erste Wettkampftag beginnt gleich mit der Entscheidung in der Nordischen Kombination Einzel. Hier gilt Oberfeldwebel Ronny Ackermann als Mitfavorit. Doch es kommt für ihn anders, als er es sich für seine dritten Olympischen Spiele gewünscht hat.

 Nordische Kombination ist die Vereinigung von Skispringen und Skilanglauf. Da ist das Fluggefühl genauso gefragt wie die Kraftausdauer. Nur wer beides beherrscht und technisch sowie taktisch versiert ist, kann auch vorne mitfahren. Der Skisprungwettbewerb bildet das Fundament für den folgenden Langlauf. Die Sprungnote aus dem Skispringen wird in Zeit umgerechnet, so dass die Teilnehmer nach der so genannten „Gundersen-Methode“ starten müssen. Das heißt, das 15 Punkte Unterschied im Springen eine Minute im Laufen entsprechen. Mit den Abständen, die sich dann aus dem Springen ergeben, startet der Beste als Erster, und die anderen folgen.

Eins nach dem anderen. Erst mal zum Skispringen: Die Sonne scheint, es ist fast windstill in Pragelato, dem Austragungsort, wo die Skischanzen stehen. Hervorragende Bedingungen, um vom Schanzentisch zu fliegen. Da sitzt auch schon Oberfeldwebel Ronny Ackermann von der Sportfördergruppe Oberhof auf dem Balken. Er zählt neben den Finnen Hannu Manninen und dem Norweger Magnus Moan zu den Mitfavoriten.

Auch wenn der Doppelweltmeister von 2005 (Oberstdorf) und Sportler des Jahres 2005 in dieser Saison nicht die Form hat, wie er es gewohnt ist. So änderte er noch vier Wochen vor Olympia seine Sprungtechnik, und das nach fast 20 Jahren Leistungssport. Sein Problem: Die vielen Regeländerungen, wie die enger geschnittenen Anzüge und veränderten Skier. So erklärte er in einem Interview mit dem Kölner Stadt Anzeiger: „Die Welt der Springer hat sich geändert. Es ist eine andere Technik gefragt. Ich bin früher sehr, sehr aggressiv abgesprungen, so richtig mit Kraft und Energie. Das ging auch, weil ich dank des alten Materials viele Flächen hatte, die mich in der Luft gehalten haben. Diese Flächen fehlen jetzt, also muss man nun sehr passiv abspringen. Und das muss erst mal rein in den Kopf.“ So machte er vor Olympia einen Schritt zurück, um wieder vorwärts zu kommen. Er übte Sprünge von den kleinen Schanzen, um die Passivität zu lernen. Daher sah er sich im Vorfeld von den Winterspielen in Turin auch nicht als Favorit.

48 Kombinierer gilt es für Ronny Ackermann zu schlagen – von der Normalschanze in zwei Durchgängen. Er sitzt scheinbar ruhig auf den Balken, nimmt Schwung, stößt sich ab, gleitet hinunter. Und in letzter Sekunde, so wirkt es, entscheidet er sich am Schanzentisch für die alte Technik. „Er hat den Absprung mit den Kopf begonnen und dann aufgezogen, das war die alte Technik", erklärt später Sprungtrainer Andreas Bauer. Zu stark liegt die Belastung auf dem rechten Bein, denn in der Luft driftet Ronny Ackermann nach links.

Also, ein Sicherheitssprung mit Unsicherheiten? Mit 92,5 Metern ist er jedenfalls weit von der Spitze entfernt. „Das war zu wenig für den ersten Durchgang. Das Hauptproblem: Die Anlaufgeschwindigkeit war zu langsam. Ich muss mir den Sprung anschauen und sehen, ob ich es umsetzen kann", sagt er nach seinem Sprung. Ein Stundenkilometer fehlt dem deutschen Vorzeigeathleten auf die Spitze, die mit dem Franzosen Jason Lamy Chappuis und dem Norweger Petter L. Tande bei 102,5 und 103 Meter liegt.

Überraschend mit nach vorne gestoßen ist der Deutsche Georg Hettich mit 101,5 Metern. Das heißt für Ronny Ackermann, dass er im zweiten Durchgang zum Angriff blasen muss. Doch auch diesmal läuft es für den Oberfeldwebel nicht so. Der Sprung ist fast eine Dublette des ersten. Hektisch kommt er vom Schanzentisch weg. Nach der Landung lässt er enttäuscht die Arme sinken – wieder nur 92,5 Meter, wieder 1,5 Stundenkilometer zu langsam.

„Der Wettkampf ist komplett daneben gegangen. Die Ausgangsposition ist alles andere als gut", sagt Ronny Ackermann hinterher und betont, dass er nun versuchen würde, einen guten Lauf zu machen, um die Strecke für den Sprint und für die Staffel kennen zu lernen. „Rauskommen wird dabei nicht mehr viel, weil der Rückstand einfach zu groß ist." Position 26 und 3:16 Minuten zum Aufholen, so lautet sein Zwischenergebnis.

Und das wenig Tröstliche: Konkurrenz hat er aus dem eigenen Lager bekommen. Georg Hettich legt im zweiten Durchgang den besten Sprung des Tages hin. Mit 104 Metern sichert er sich den ersten Startplatz für die 15 Kilometer Langlauf. Eine bessere Basis konnte er nicht erreichen. Zwar ist sein Vorsprung nicht gravierend groß, aber Georg Hettich gilt als starker Läufer.

Zwischen dem Skispringen und dem Skilanglauf haben die Kombinierer zwei Stunden Zeit, um von der Schanze zur Loipe nach San Sicario zu gelangen. Kräfte sammeln, Ruhe bewahren, Konzentration. Jede Runde ist 3,75 Kilometer lang, wobei die zweite und vierte mit einem gewaltigen Anstieg gewürzt ist, wo 40 Meter Höhenunterschied zu bewältigen sind. Während Georg Hettich vorne um seinen Sieg kämpft, läuft Ronny Ackermann hinterher …
            

Christine Blödtner-Piske
   


Zu Besuch bei der Sportfördergruppe Köln-Longerich

Der Traum eines jeden Sportlers: Finanziell abgesichert, den ganzen Tag für den Erfolg trainieren. Das können Hochleistungssportler zum Beispiel in den Sportfördergruppen der Bundeswehr. Wir waren zu Besuch bei der Sportfördergruppe in Köln-Longerich.

Die Bundeswehr hat 25 Sportfördergruppen in Deutschland, die nur dazu da sind, Spitzensportler zu unterstützen. Natürlich müssen diese im Dienst stehen. Derzeit sind es ungefähr 700 Sportler, die diese Förderung bekommen. Doch wie hat alles angefangen? Im Jahre 1968 wurde die Bundesregierung durch Beschluss des Deutschen Bundestages aufgefordert, zur Förderung von bundeswehrangehörigen Spitzensportlern Fördergruppen einzurichten, die an die Leistungszentren der Sportverbände angelehnt werden sollten. Und noch heute billigt das Bundesministerium der Verteidigung, das Bundesministerium des Inneren und der Deutsche Sportbund dem Bereich der Olympischen Disziplinen höchste Priorität. Ein Grund, mal hinter die Kulissen zu schauen und bei der Sportfördergruppe in Köln-Longerich an die Tür zu klopfen.

Hier sind momentan 31 Spitzensportler stationiert. Darunter sind Volleyballer, Wasserspringer und Squashspieler. Hauptaugenmerk wird aber auf Judo gelegt. Und nur die Judokas - es sind 18 Leute - wohnen wirklich in der Kaserne. "Das liegt daran, dass der Bundestrainer der Judokas hier in Köln ist", erklärt Oberstabsfeldwebel Joachim Spohr, Leiter der Sportfördergruppe. Ansonsten dürfen die Sportler Zuhause wohnen und in ihrer gewohnten Umgebung trainieren.

Nur montags haben sie Kasernen-Tag. Das bedeutet, dass sie zur militärischen Ausbildung kommen. "Das betrifft alles, was mit Militär zu tun hat. Wir machen hier unter anderem Sanitäter-, Fernmelde-, Alarm- und Formalausbildung. Oft gehen wir auch Schießen, das ist bei den Sportlern besonders beliebt", erklärt der Oberstabsfeldwebel. Um 15:30 Uhr ist Feierabend und dann geht's für die Sportler erst richtig los. Das heißt, ab nach Hause und zum Training.

Denn die Athleten sollen so wenig wie möglich aus ihrem Training herausgerissen werden. So ist die Grundausbildung für sie ein Monat kürzer als für die normalen Soldaten. "Doch das bedeutet nicht, dass sie nichts lernen. Der Stoff ist der gleiche. Es wird alles nur ein bisschen mehr gestrafft. Die Sportler haben dann abends und am Wochenende Unterricht", erklärt Joachim Spohr den Unterschied zu den normalen Soldaten und betont, dass die Sportfördergruppe mit dem sportlichen Training nichts zu tun habe, aber mit der sportlichen Entwicklung.

Während die anderen Soldaten ihre Gewehre putzen oder eine Geländeübung machen, quälen sich die Athleten beim Training zu Höchstleistungen für den Erfolg. Denn ohne den geht es nicht, dann müssen sie nämlich die Sportfördergruppe wieder verlassen. Es muss ein Trend zu sehen sein, dass sie sich stetig verbessern. Klar, werden sie nicht nach Hause geschickt, wenn Verletzungen oder Krankheiten dazwischen kommen.

Bei den meisten gibt das nun forcierte Training einen regelrechten Leistungsschub nach vorne. Denn vorher haben sie gearbeitet oder gingen noch zur Schule und konnten höchstens einmal am Tag trainieren. Wer jedoch in der Sportfördergruppe ist, kann entsprechend zwei bis drei Trainingseinheiten täglich absolvieren und somit Hundertprozent für seinen Sport geben. Denn der Athlet ist angestellt bei der Bundeswehr und braucht sich keine finanziellen Sorgen machen.

Daher verpflichten sich viele als Zeitsoldaten über zwei, vier oder acht Jahre. Übrigens: Wer sich als Zeitsoldat verpflichtet, muss auch bereit sein, einen Auslandseinsatz zu absolvieren. Das muss jeder unterschreiben - auch die Sportler. Doch da der sportliche Erfolg oberstes Gesetz ist, müssen die Athleten verständlicherweise nicht ihren Rucksack packen. Es macht natürlich überhaupt keinen Sinn, dass sie ihr Training unterbrechen.

Und wer nach der sportlichen Karriere die Trainerlaufbahn einschlagen möchte, kann das ebenfalls mit Unterstützung der Bundeswehr machen. So wie Johanna Hagn, ehemalige Welt- und Europameisterin im Judo. "Dass ich mich vor zwei Jahren an der Trainerakademie bewerben konnte, das hat mir die Bundeswehr ermöglicht. Für diese Zeit war ich freigestellt", erzählt die 31-jährige Judo-Sportlerin und jetzt Trainerin. So ist sie seit 2001 Berufssoldatin und steht dem Bundeskader und der Sportfördergruppe Köln-Longerich als Coach mit Rat und Tat zur Seite.

Zurück zu den Sportlern: Natürlich wird das Training kontrolliert. Nichts wird dem Zufall oder einer möglichen Disziplinlosigkeit überlassen. Ein Sportler, der von der Bundeswehr unterstützt wird, verpflichtet sich, hart an sich selber zu arbeiten. Zur Kontrolle dessen entwickelte Joachim Spohr ....
            
Christine Blödtner-Piske