Fernweh

Biken mit Biss


Ein Abenteuer liegt in der Luft, wenn 21 Biker die rumänischen Südkarpaten entdecken und von West nach Ost durchqueren. Und das in einer Region, wo nur der legendäre Graf Dracula die Wege wirklich kennt.

"Wir haben ein paar Straßenkarten, GPS-Geräte sowie Monica und Paul, die kurzfristig als Führer eingesprungen sind. Das schaffen wir schon."


Die nächsten zwölf Tage werden hart. Bergauf, bergab, über Straßen, Schotterwege und auf schmalen Felspfaden fahren, manchmal auch das Bike schieben oder tragen und dabei knapp 700 Kilometer zurücklegen - nur mit dem einen Ziel: die rumänischen Südkarpaten südlich von Siebenbürgen (Transsilvanien) von West nach Ost zu durchqueren. Kein leichtes Unternehmen, was die 16 deutschen Teilnehmer der BikeRomania-Tour 2002 und die fünf Rumänen des Radclubs Klausenburg vorhaben. Ein großes Abenteuer, was vor ihnen noch kaum einer versucht hat - außer vielleicht Graf Dracula.

 

Und schon am ersten Tour-Tag die erste Panne: Der Guide Radu Mititean, der die Strecke ausgearbeitet hat und das Gelände kennt wie seine eigene Westentasche, ist verhindert. Nun ist Improvisation gefragt. Thomas Froitzheim, der Gründer von BikeRomania, eine Non-Profit-Initiative, die den Fahrrad-Tourismus in Rumänien unterstützt, übernimmt die Leitung. "Wir haben ein paar Straßenkarten, GPS-Geräte sowie Monica und Paul, die kurzfristig als Führer eingesprungen sind. Das schaffen wir schon." Startpunkt der Tour ist Herkulesbad (Baile Herculane), eine sehenswerte alte Kurstadt, in der sich schon Kaiserin Sissi von den Strapazen des Regierens erholte …


… Eine Nacht auf dem Berg, dass muss nicht sein. Zeit für den Downhill. Mit 50 Sachen rasen wir ins Tal. Kein Hindernis ist zu schwer. Wasser spritzt uns ins Gesicht, als wir durch kleine Rinnsale jagen. Tief hängende Äste peitschen über unsere Helme hinweg. So mühselig der Aufstieg war, so genial ist …

… Die Sonne sticht heiß vom strahlend blauen Himmel. Kein Wind weht. Auf und ab radeln wir über Petrosani durch das Jiet-Tal zum Groapa-Seaca-Pass (1.575 Meter). Der Schweiß fließt, die Oberschenkel schmerzen. Heute müssen die Wasservorräte herhalten, nur zwei Quellen liegen auf dem Weg …

… Steil bergan, über viele Serpentinen durch Wald und offenes Gelände geht es bis auf 2.228 Meter Höhe. Der Weg ist kaum eine richtige Straße, ist er doch zusammengesetzt aus großen und kleinen Steinen, dazwischen klaffende Lücken, dann wieder Schotter und niemals gerade, immer gewellt. Die Straße ist weit und breit die einzige Verbindung von Nord nach Süd und nur mit Traktor, Geländewagen oder Mountainbike zu befahren. Dennoch kommen immer wieder Autos im Schneckentempo den Pass hochgekrochen.

Rechts und links des Weges sehen wir Bauern an steilen Hängen ihre Sense schwingen, um Heu für den Winter zu machen. Doch je höher man kommt, desto karger wird es. Langsam, aber unaufhaltsam schweben die ersten dicken, grauen Wolkenfetzen heran. Feuchte Kälte legt sich wie ein eisiger Mantel um die Biker. Dichter und dichter wird die Wolkenwand. 50 Meter Sicht. Keiner weiß, was hinter den grauen Schwaden kommt - aber plötzlich haben wir den Urdele-Pass erreicht.

Der Lohn der Mühe ist die Abfahrt: Herrliche, sonnige Talausblicke, enge Kurven, gerade Strecken, Geschwindigkeitsrausch. Wer sich traut, jagt mit 70 Kilometer pro Stunde bergab. Schlaglöcher werden übersprungen, Hindernisse umfahren, Autos überholt. Bald schon …
    
    

Christine Blödtner-Piske