Reise

Radeln zwischen Festland und Ostsee    

Herrliche Natur, tolle Sonnenuntergänge, mystisches Vineta, sagenumwobene Bernsteinhexe, weite weiße Sandstrände, mondän-romantische Bäderarchitektur und Nazizeit – das alles ist Usedom. Auf drei unterschiedlichen Radtouren erkundete aktiv Radfahren-Autorin Christine Blödtner-Piske die zweitgrößte Insel Deutschlands.

Die Legende: Am Anfang gab es nur das Meer – bewohnt von den Schaumgeborenen. Einer Laune der Natur war es zu verdanken, dass sich ein Stück Boden aus dem türkisgrünen Meer erhob. Einige Unterwasserbewohner ließen sich genau dort nieder. Ihre Nachkommen bauten die große und sagenumwobene Stadt Vineta. Die Dächer der Häuser waren aus purem Gold. Und die Kinder spielten mit echten Perlen. Doch das Meer forderte das Land wieder zurück. Wie Atlantis versank auch Vineta in den stürmischen Fluten. Wo das war? Irgendwo in der Ostsee in der Nähe der Insel Usedom.

Die Wahrheit: Legenden haben immer einen wahren Kern und dieser ist im Jahre 1075 zu finden. Damals beschrieb der erste international bekannte deutsche Geograf Adam von Bremen, dass Vineta die größte von allen Städten wäre, angefüllt mit Waren aller Völker des Nordens, und dass die Insel auf der die Stadt lag, von drei Meeren bespült würde. Eins davon wäre von tiefgrünem Aussehen, das zweite weißlich und das dritte woge ununterbrochen wildbewegt von Stürmen. Von Vineta würde man nach kurzer Ruderfahrt zur Stadt Demmin in der Peenemündung gelangen. Die Wissenschaftler streiten heute noch, was wirklich mit der mystischen Insel und der Stadt Vineta geschah. Aber wer weiß, vielleicht war es ja sogar Usedom selbst?

Ein Grund die östlichste Insel Deutschlands mit den meisten Sonnenstunden mal per Rad zu erkunden. Unser Ausgangspunkt für die erste Radtour ist Zempin. Das alte Fischerdorf lag ursprünglich nur am Achterwasser. Doch blieb der Ort vor dem im 19. Jahrhundert einsetzenden Bäderboom nicht verschont, und da Zempin an der engsten Stelle Usedoms liegt, reicht das kleine Seebad heute bis an die Ostsee. Allerdings entstanden die ersten Badeorte weiter im Süden der Insel. Swinemünde, Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin waren die Seebäder, die von den königlichen und kaiserlichen Familien für die Sommerfrische entdeckt wurden. Zempin dagegen entwickelte sich langsam. Die adelige Gesellschaft erkundete zwar das Hinterland der Seebäder, aber erst mit der Anbindung an den Schienenverkehr 1911 kamen auch die ersten Badegäste nach Zempin. Die ersten Hotels und Pensionen wurden in eher unauffälliger und bescheidener Bäderarchitektur gebaut. Die 1933 errichtete Seebrücke fiel den harten Winterstürmen und dem Eis zum Opfer. Und in den Wirren des Zweiten Weltkrieges kam das Badewesen ganz zum Erliegen. Zu DDR-Zeiten wurde Zempin ein beliebter Urlaubsort für die „organisierte Erholung der Werktätigen“. Heute hat Zempin 800 Einwohner und ist eher ein kleiner Geheimtipp für den Ruhe suchenden Urlauber. Denn der Ort kann sich nicht erweitern, auch wenn man es wollte. Ist er doch zwischen Achterwasser und Ostsee quasi eingequetscht.

Tour 1: Vineta, Heringe und Bernsteinhexe

Diese engste Stelle wird durch einen Deich geschützt, der von Zempin nach Koserow führt – und auf dem radeln wir gerade Richtung Süden. Viele Fahrradfahrer kommen uns entgegen. Die einen professionell mit Mountainbike oder Touren-Rad, die anderen mit geliehenen Rädern nur mit Sandaletten bekleidet. Längs der B 111 fahren wir ungefähr zweieinhalb Kilometer in der prallen Sonne. Die schneit übrigens durchschnittlich 1800 Stunden im Jahr. Dennoch ist das Klima gemäßigt. Mit Sommertemperaturen rund um 25 Grad sind das ideale Radfahrbedingungen.

Als wir in den Wald stoßen, sehen wir links sofort die Koserower Salzhütten. Wir steigen ab, ketten die Räder zusammen. Denn ein Besuch dieser aus dem 19. Jahrhundert stammenden Hütten lohnt sich. Ein Mini-Museum, in dem man tatsächlich auch heiraten kann, erwartet uns. Als wir die erste Hütte betreten, treffen wir eine nette Dame, die uns Auskunft gibt: „Früher gab es hier so viel Hering, dass man selbst die Felder damit düngte. Heute kann man vom Hering nicht mehr leben.“ Die Salzhütten entstanden, weil man ursprünglich in ihnen das steuerfrei vom preußischen Staat gelieferte Steinsalz aus dem Salzbergwerk bei Magdeburg lagerte. „Denn nicht mit Meeressalz, sondern mit Steinsalz konservierte man den Fisch und das in einem Fass. Der Salzgehalt des Meeres ist zu gering. Nach dem Einsalzen wurde jedes Fass durch den so genannten Wracker geprüft und vom Böttcher zugeschlagen.“ Um 1860 herum betrieben in Koserow 31 Familien mit neun Booten die Fischerei. Alleine 15 solcher Salzhütten standen in diesem beschaulichen Dorf.

Wir radeln auf einem Pfad weiter durch den schattigen Küstenbuchenwald. Unser nächstes Ziel ist der Streckelsberg, mit 60 Metern überm Meeresspiegel die höchste Erhebung Usedoms. Von hier hat man einen wunderschönen Blick aufs Meer – mal seidenblau und glatt wie ein Spiegel, mal granitgrau und wild. Vielleicht konnte man von hier einst die Stadt Vineta erkennen. Aber so stark man seine Augen auch anstrengt, Vineta sieht man nicht, dafür aber...
    
    

Christine Blödtner-Piske


Reise

Spuk & Speichen in Ostengland

Ein bisschen Gänsehaut, ein kleines Kribbeln in der Magengegend und das Gefühl beobachtet zu werden, das bekommt man, wenn man sich in Ostengland aufs Fahrrad schwingt. Denn bei den drei vorgestellten Radtouren geht es durch das geheimnisvolle East Anglia. Hier wimmelt es nur so von Gespenstern, kopflosen Reitern, Hexen und schwarzen Hunden mit feuerroten Augen. Hier wandeln Mönche auf Balustraden, Fernseher und Wasserkocher funktionieren ohne Strom – sagt man! Begeben Sie sich mit aktiv Radfahren-Autorin Christine Blödtner-Piske auf eine gespenstische Radreise.

Ostengland hat einfach alles – herrliche Küstenstriche, naturbelassene Landschaften, historische Städte, sagenumwobene Schlösser, faszinierende Kathedralen und seinen ureigenen schrulligen Charakter. Wieso schrullig? Nun, hier sind Englands Geister Zuhause. Überall in dieser Gegend wimmelt es nur so von Gespenstern und es gibt genug kopflose Reiter, um ein ganzes Kavallerieregiment auszustatten. Hexen werden gesehen, schwarze Hunde mit feuerroten Augen verbreiten Angst und Schrecken, Mönche wandeln auf Balustraden und Fernseher oder Wasserkocher funktionieren ohne Strom. Warum? East Anglia ist tief verwurzelt mit der angelsächsischen und heidnischen Vergangenheit. Hier an der Küste von Norfolk und Suffolk landeten die Wikinger und eroberten das Land, von hier nimmt die Geschichte Englands ihren Lauf.

hier rauben einem nicht die Steigungen, sondern die herrlichen Landschaften, den Atem – wenn es nicht die spukenden Kreaturen längst getan haben. Und da Ostengland sowohl für Familien, blutige Bike-Anfänger und gestandene Radler optimal ist, starten wir unsere drei einzelnen Radtouren, in dieser östlichen Region Englands. Aber Achtung: Man sollte auf jeden Fall nicht neben jeder Straße einen Radweg erwarten. Eher schlängeln sich die Straßen eng vorbei an blühenden Fuchsienhecken, und an mit leuchtendem Mohn gesäumten Kornfeldern. Und Linksfahren ist Pflicht.

Auf den Spuren von Katharina

Unsere erste Tour beginnt allerdings am drittgrößten Wasserreservoir Englands in Grafham Water. Wir werden schon bei der Fahrradvermietung „Grafham Water Cycling Centre“ erwartet. 150 Fahrräder stehen hier zur Auswahl. John, ein junger Bursche, wählt die Räder aus. „Sie nehmen am besten dieses hier“, sagt er und schaut auf meine Beine. „Das müsste von der Größe passen.“ Ich nehme das Rad und setze mich – passt. Allerdings lasse ich mir noch kurz den Lenker ein bisschen verstellen. Als alle anderen versorgt sind, geht es mit einer Tour-Karte bewaffnet los – immer am Wasser lang.

Es ist ein warmer Juni-Tag und die Sonne scheint milchig vom Himmel. Genau richtig, um sich auf die Spuren von Katharina von Aragon zu machen. Denn die heutige Tour heißt „Katherine’s Wheels“. Diese adelige Dame war die erste Frau von Henry VIII., dem König, der durch seine sechs Frauen berühmt wurde, und der mit der katholischen Kirche sowie dem Papst brach, seine eigene anglikanische Kirche gründete und die Scheidung in England einführte.

Vom blau schimmernden Wasser biegen wir ab und wenden uns den gelben Kornfeldern zu. Durch die „Countryside“ radeln wir, kommen vorbei an kleinen Dörfern, in denen man die typischen englischen Häuschen mit bunt blühenden Bauerngärten vor der Tür sieht. Unser Ziel auf der 24 Kilometer langen Tour sind die zwei letzten Residenzen, in denen die Königin gelebt hatte. Denn aus politischen Gründen konnte Henry VIII. diese Dame nicht köpfen lassen, da sie Spanierin war und er somit einen Krieg heraufbeschworen hätte. Also, brachte er sie als Gefangene ins Exil nach Ostengland. Bis die Scheidung durch war, blieb sie in Buckden Towers, einem Bischofs-Palast. Das war von 1533 bis 1534. Doch der König hatte Angst vor einer Revolte. Denn Katharina von Aragon war im Volk sehr beliebt. So wurde sie heimlich nach Kimbolton Castle gebracht, wo sie mit einer Bediensten ihr Leben fristete. Sie starb 1536 nach einer schweren Krankheit. Und seit dem soll man sie auf den Fluren des Schlosses sehen können.

Das Schloss ist imposant mit hellen Steinen im typischen Tudor-Stil gebaut, wobei es im 18. Jahrhundert modernisiert wurde. Doch die Flure, die unterschiedlich hoch sind, stammen noch aus dem 12. Jahrhundert. Und wenn Katharina von Aragon, die in der Kathedrale von Peterborough begraben liegt, ihre Geister-Wege schwebt, dann kann man nur die Hälfte ihres Körpers sehen.

Doch noch ein weiterer Spuk ist hier Zuhause. Jahre nachdem Katharina von Aragon hier starb, hat ein George Pocham im Kimbolton Castle, was heute eine Schule ist, gewohnt. Er war ein bekannter und böser Richter. Eines Abends kam er betrunken nach Hause und weil seine Frau in dieser Nacht ein Mädchen zur Welt gebracht hatte, warf er es kurzerhand aus dem Fenster. Dort, wo das Baby den Boden berührte, soll noch heute an ihrem vermeintlichen Geburtstag der Pflasterstein rot glühen. Wir haben es jedenfalls nicht gesehen, als wir das Schloss besichtigten.

Da diese spannende Tour, die auch noch an einen historischen Flugplatz aus dem Zweiten Weltkrieg vorbei führt, nicht unbedingt den ganzen Tag füllt, lohnt sich ein Abstecher nach Peterborough. Es ist eine attraktive Stadt, die Modernes mit der Historie miteinander verknüpft. Die Kathedrale aus dem Jahre 1238 ist sehr imposant und beherbergt nicht nur das Grab von Katharina von Aragon, sondern auch von der berühmten Schotten-Königin Maria Stuart, wobei diese 1612 dann nach Westminster Abby verlegt wurde. Die nächste Besonderheit ist die mittelalterliche Decke – es ist die einzige dieser Art in Großbritannien.

„Es sind keine bösen Geister“

Wir fahren weiter nach Ely, um im Lamb Hotel, einer alten Postkutschenstation, wo es natürlich auch spukt, einzuchecken. Auch hier steht eine imposante Kathedrale. Einst war diese Stadt eine Insel im Marschland, die oft im dicken grauen Nebel lag. Kein Wunder, dass in Ely die Leute heute noch an Geister glauben – selbst unsere Stadtführerin Nora Gardener kann sich davon nicht freisprechen. Sie erzählt: „Im 18. Jahrhundert gab es hier einen Totengräber, der die Toten nach London verkaufte. Und noch heute sieht man ihn auf dem Friedhof mit seinem viktorianischen Mantel den Spaten schwingen.“ Selbst Geistliche, die in unserem Jahrhundert in der Ely Kathedrale ihre Dienste verrichten, erleben immer wieder, wie die Seelen der Vergangenheit auftauchen. „Es sind keine bösen Geister...
            
    

Christine Blödtner-Piske